Die Chronik

Das jugendbewegte Jahrhundert in Stätzling

Jugendbewegung

Das hinter uns liegende 20. Jahrhundert zerfällt, was die Wertschätzung betrifft in zwei Hälften, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Mit der zweiten Hälfte können wir zufrieden sein. Sie hat uns einen materiellen Wohlstand beschert, von dem an der Jahrhundertwende niemand zu träumen gewagt hätte.
Über den Irrwegen, Brüchen und Katastrophen der ersten Hälfte hingegen, an die wir nur widerwillig denken, vergessen wir leicht, dass es auch erfreuliche Entwicklungen gegeben hat. Eine davon, am Beginn des Jahrhunderts, hat auch den Katholischen Burschenverein in Stätzling hervorgebracht. Man nennt sie Jugendbewegung. Mit ihr wurde die Jugend als eine in sich ruhende Lebensform eigentlich erst entdeckt. Zuvor war Jugend lediglich als eine Vorbereitung des Erwachsenenalters verstanden worden. Zusammen mit anderen kulturellen Erscheinungen, wie dem Jugendstil in der Kunst, hat die Jugendbewegung das Ende einer erstarrten bürgerlichen Kultur eingeläutet. Erst in kleinen, später in größeren Gruppen brachen junge Menschen auf, um sich in "innerer Wahrhaftigkeit" einen neuen und nicht mehr an fremden Formen und Autoritäten orientierten Lebensstil zu schaffen. Durchgehender Wesenszug der Jugendbewegung war neben einer neuen sozialen Einstellung ein anderes Verhältnis zur Natur, die erwandert und erfahren werden wollte (Wandervogel). Gegen die Nüchternheit der Alten und ihr plattes Nützlichkeitsdenken wandte sich die romantische Wiederentdeckung der alten Bräuche und des Volksliedes (Zupfgeigenhansl). Daneben gab es aber auch schrankenlosen Individualismus und revolutionäre Ungeduld, die Verteufelung alter Bindungen und die Ablehnung jeglicher Religion. So suchte die Jugendbewegung nach allen Richtungen und erfasste alle Bereiche der Gesellschaft. Sie verzettelte sich. Sie beraubte sich damit ihrer Wirksamkeit und konnte später von totalitären Regierungen missbraucht werden. An ihrer größten Option, die Katastrophen des Jahrhunderts zu verhindern, ist sie gescheitert. Die Zusammenschlüsse von Jugendlichen, die den Kern der Jugendbewegung ausmachten, gliederten sich nach Berufsständen, politischen Überzeugungen, sportlichen Interessen und Konfessionen. Ihr Wesen und ihre Ziele differenzierten sich dementsprechend. Im Umfeld der Katholischen Kirche entstanden die Christliche Arbeiterjugend (CAJ), Neudeutschland (Gymnasiasten), Kolping-Jugend (Handwerker), Marianische Kongregation (männliche und weibliche Jugend) und die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg. Vor allem im ländlichen Raum kam es zur Gründung von zahlreichen katholischen Burschenvereinen, darunter auch in Stätzling.

 

Die ersten Jahre

Es muss nicht näher erörtert werden, warum katholische Jugendbünde der Autorität weniger ablehnend gegenüberstanden als der große Rest. Die hierarchischen Strukturen der Römischen Kirche legten eine solche Haltung nahe. Aber auch ohne diese Gegebenheit können die katholischen Burschenvereine als konservativ im guten Sinne bezeichnet werden. Tatsächlich ist auch in Stätzling die Initiative zur Gründung vom Pfarrer ausgegangen. Georg Suiter, der Schreinerssohn aus Bennigen bei Memmingen, der die 32 Burschen am 20. März 1910 in der Schloßwirtschaft zusammenrief, war in Personalunion auch Distriktsschulinspektor, das entspricht dem heutigen Schulrat. Obwohl er zur Zeit der Gründung schon 40 Jahre aIt war, dürfte Georg Suiter deshalb in der Versammlung dennoch der am stärksten Jugendbewegte gewesen sein. Er war es auch, der die allgemeine Satzung von 1903 bekanntgab, als die vom Kulturkampf unter Bismarck gestählte katholische Kirche die männliche Jugend auf dem Lande erstmals aufforderte, sich zu organisieren:

         Es gelte die Erhaltung und Förderung von Glaube und Sitte,
         Berufstüchtigkeit und Heimatliebe, Frohsinn und Scherz.

Dieses Grundsatzprogramm des Katholischen Burschenvereins gilt auch heute noch, wenn auch der spätere Präses Anton Bezler versuchte, den "Scherz" durch "Freundschaft" zu ersetzen. Auch über das "Banner" wurde bei der Gründungsversammlung schon gesprochen. Es sollte in den Farben grün, weiß, rot gehalten sein. Den Eindruck dass der katholische Burschenverein Stätzling die Aufmerksamkeit der Honoratioren des Dorfes fand, bestätigt auch die Gruppenaufnahme von 1914, als die neue Fahne geweiht wurde. Unter den 55 Personen, die sich in mustergültiger Ordnung dem Photographen stellten, befinden sich außer den drei Ehrenjungfrauen mit dem Präses zu ihrer Rechten, der Bürgermeister Andreas Steinherr, der Lehrer Franz Oberhauser, und noch eine Reihe weiterer Herren, die der Jugend offenbar schon entwachsen sind. Zur Linken der Jungfrauen bemerken wir Peter Färber, den ersten Vorstand des Vereins. Er ist von Beruf Dienstknecht und stammt aus dem kleinen Hof mit der Hausnummer 55 und dem Hausnamen "Außerschwob". Er hat das richtige Alter von 29 Jahren. Ein Jahr später ist Peter Färber am 27. Juli 1915 an der Westfront den Soldatentod gestorben. Insgesamt 14 Mitglieder des Burschenvereins teilten im Verlaufe des Krieges sein Schicksal. Der Krieg bedeutete für den Verein die Stagnation.

 

Burschen bei sich und für andere

Wie verheerend und nachhaltig sich ein Krieg auf menschliche Entfaltungsmöglichkeiten auswirkt, dafür ist das Vereinsleben der Stätzlinger Burschenschaft in den zehn Jahren nach 1914 ein trauriger Beleg. Es fand nämlich nicht statt. Lediglich die Vereinsspitze zeigte einige Bewegung. Dreimal musste der Vorstand ausgewechselt werden, und dreimal gab es einen neuen Präses. Ein neuer Wind blies erst, als es auch in Staat und Gesellschaft wieder aufwärts ging. Schon in diesem frühen Stadium des Vereinslebens lassen sich zwei Bereiche unterscheiden, die bis heute die Existenz der Stätzlinger Burschenschaft ausmachen. Da ist das zurückgezogene, wenn auch vom Glauben getragene Bei-sich-Sein, die Freude am Umgang mit Gleichaltrigen samt der wechselseitigen Bestätigung, kurz gesagt: die Clique. Die Burschen gingen einerseits regelmäßig zur "Generalkommunion", und der Schriftführer Nikolaus Widmann wurde nicht müde, die Säumigen zu mahnen. Auch zur Teilnahme an Exerzitien forderte er immer wieder auf. Andererseits trafen sich die Burschen mit steigender Frequenz, und jeden Monat fand eine Mitgliederversammlung statt. 1925 radelten sie zum Gaufest des Burschenverbandes "Lechrain" nach Oberbaar. Bald wurden sie richtige Wandervögel. Keine Fahnenweihe in der Umgebung ließen sie aus. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Stätzlinger Burschen hätten eine eigene Ortsgruppe des Friedberger Fahrradvereins Concordia gegründet. Doch schon wurde das Fahrrad vom Automobil überholt. Im Jahr 1928 wallfahrtete man per Omnibus nach Altötting, und 1929 fiel die geplante "Autofahrt" nach Neuschwanstein zwar ins Wasser; sie wäre aber die erste von zahlreichen weiteren gewesen, die in der Geschichte des Vereins dann auch tatsächlich unternommen wurden. Der andere Bereich der burschenschaftlichen Aktivitäten griff über den Verein hinaus und beglückte die Allgemeinheit. Die Rede ist von der sozialen Seite der Burschen, von ihrem Beruf zur Nächstenliebe. Am Stephanstag, dem 26. Dezember 1924, spielten sie urkundlich zum ersten Mal Theater. Auf dem Programm standen drei Stücke: Ein Weihnachtstraum, Die Nihilisten, Die militärische Visitation. Wenige Jahre später kam es zum nie mehr erreichten Höhepunkt der Stätzlinger Theatergeschichte. Unter dem Patronat und der Regie des neuen Präses Anton Bezler zeigten die Künstler zu Weihnachten 1927 jenes Krippenspiel, in dem 16 Kinder als Engel auftraten und einzelne Szenen in bengalisches Licht getaucht waren. Das zweite Stück hieß "Am Brunnen vor dem Tore". Der Haberskircher Lehrer Ludwig Stumpf hatte den Vorhang eigens dafür mit einer passenden Szene bemalt. In den Pausen sangen ambitionierte Damen Kunstlieder, oder es spielte die Blaskapelle. Die Begeisterung war groß. In der darauf folgenden Fasnacht waren es sogar vier Stücke, die an einem einzigen Abend zur Aufführung gelangten, eine Leistung die nicht mehr überboten wurde. Bis zum Jahre 1932 blieb das Bühnenspiel in Stätzling auf einem hohen Stand. Im Frühjahr 1933 musste dann jedoch für das Theater eine Sondergenehmigung eingeholt werden, und 1934 "bereicherte" die örtliche SA das Krippenspiel mit einem militärischen Schwank. Das Krippenspiel habe den Leuten sehr gut gefallen, notierte der Pfarrer lakonisch und beendete damit die erste Ära des Burschentheaters in Stätzling. Mit dem Pfarrer Anton Bezler begann auch die karitative Karriere der Burschen. Zur Kirchweih 1926 sammelten sie Lebensmittel aller Art und stellten sie der Caritas in Augsburg zur Verfügung. In den folgenden Jahren wiederholten sie diese Wohltat, bis sie verboten wurde. Sammeln durften nur noch NS-Organisationen. Im Jahr 1930 wurde das 20jährige Stiftungsfest gefeiert und 1931 das Gaufest in Aindling. Der Burschengau beschloss bei diesem Treffen, die "NS-Bekenner" in der Burschenschaft zu belehren und notfalls auszuschließen. In Stätzling kam es daraufhin zu einem zweimaligen Wechsel im Vorstand. Die Existenz der katholischen Burschenvereine in der Zeit zwischen den Kriegen neigte sich ihrem Ende zu. 1933 wurden alle christlichen Vereine vorübergehend verboten und ihr Vermögen eingezogen. Die Burschen brauchten sogar eine Sondergenehmigung, wenn sie an der Fronleichnamsprozession teilnehmen wollten. Drei Jahre später erfolgte dann das endgültige Verbot. Der zweite Weltkrieg sollte von der Stätzlinger Jugend einen schrecklichen Tribut fordern. Nicht weniger als 50 junge Stätzlinger starben. Sie fielen nicht für "Führer, Volk und Vaterland", wie es in den Todesanzeigen hieß. Sie starben für eine bessere Welt.

 

Landjugend zwischen Tradition und Moderne

Am 10. März 1946 trifft sich der alte Präses Anton Bezler mit acht Burschen in der Gastwirtschaft zur Post. Sie beschließen, den katholischen Burschenverein wiederaufleben zu lassen. Der Präses hat sich bereits beim Landrat vergewissert, dass der Neugründung nichts im Wege steht. Nur die Zustimmung der Militärregierung steht noch aus. Schon zwei Tage später nimmt eine Fahnenabordnung am Trauergottesdienst für den Gefallenen Innozenz Greinbold teil. Der Fahne fehlt allerdings die Spitze. Wie die Kirchenglocken ist sie zu Rüstungszwecken eingezogen worden. Die Korrespondenz des Präses mit der Regensburger Burschenvereinszentrale zaubert jedoch eine neue Fahnenspitze herbei. Der Generalsekretär der Zentrale stiftet sie zur großen Freude der Burschen. Ein Vierteljahr nach der Gründungsversammlung am 16. Juni des Jahres, die Georg Winter zum Vorsitzenden wählt, erscheint im Pfarrhof eine Delegation der Militärregierung unter der Leitung eines US-Offiziers und erklärt, alle katholischen Vereine des Landkreises seien genehmigt, also auch der Stätzlinger Burschenverein. Damit beginnt die längste und heute noch andauernde Periode des Vereins. Sie ist angefüllt mit einer vor Tatendrang geradezu berstenden Aktivität. Mehr noch als in der bisherigen Darstellung können die einzelnen "Events" nur in einer Übersicht wiedergegeben werden. Ähnlich wie dort beginnen wir mit den Lebensäußerungen des Bei-sich-Seins, mit der Clique also, zu der lediglich der jeweilige Präses wohl kaum zu zählen ist. Dennoch hat er in jedem Falle den Vortritt. Das gilt vor allem für die Jugendmessen, die regelmäßig mit jugendgemäßer Musik veranstaltet werden. Es versteht sich fast von selbst, dass der Verein jährlich mindestens zwei Versammlungen abhält, die abwechselnd in der "Post" und im "Schloß" eine Heimstätte finden. Auch eine Weihnachtsfeier ist obligatorisch, wenn sie nicht gerade durch einen Theaterabend ersetzt wird. Außerdem nimmt der Verein samt Fahne an der Fronleichnamsprozession teil. Doch das sprengt den Bereich der Clique bereits. Die Clique trifft sich, wann immer das möglich ist. Das gilt besonders für die Jahre, in denen ein eigenes Heim zur Verfügung steht. Schon 1949, zur Zeit des Vorsitzenden Andreas Schmid, richten sich die Burschen das alte Pfreind-Haus beim Liegl her. Ab 1956 bildet der ehemalige Schießstand im Garten der Schloßwirtschaft ein willkommenes Refugium, später der alte Pfarrhof, das Jugendzimmer im neuen Pfarrhaus und das Bienenhaus in Steinherrs Garten. Über einen Bauwagen, der öfter den Standort wechselt, ist es nun ein altes Wochenendhaus am Dohlenbach, das für die Zwecke des Vereins renoviert worden ist. Es ist ein Schmuckstück geworden. Häufig sind die Zusammenkünfte auch einem bestimmten Zweck gewidmet. Lichtbildervorträge zählen dazu und Filmabende. Kurse werden abgehalten, die etwa dem Erlernen des Rock'n'Roll dienen oder den jungen Männern das Kochen beibringen sollen, weiß Gott ein recht zeitgemäßes Bemühen. Erste-Hilfe-Kurse weisen schon wieder über den Verein hinaus. Dasselbe gilt in geographischem Sinne für die Ausflüge und Lustreisen. In die nähere Umgebung führen Fahrradausflüge, Wald-, Winter- und Nachtwanderungen. Doch das kann dem Wandervogel der zweiten Jahrhunderthälfte nicht genügen. Also wird jedes Jahr mindestens eine Busreise unternommen. Beginnend 1948 mit der Wieskirche, ein Ausflug an dem erstmals eine Mädchengruppe teilnimmt, fahren die Burschen mit Vorliebe in den Alpenraum. In den 60er Jahren auch zum Wintersport. Mehrere dieser Rodel- und Skiausflüge führen auf die Elferhütte im Stubai. Nachhaltige Verdienste erwerben sich die Burschen mit Unternehmungen des Über-sich-hinaus-Seins. Ohne Übertreibung lässt sich behaupten, dass der Katholische Burschenverein samt Landjugendbewegung in Stätzling neben der Kirchengemeinde die stärkste Klammer darstellt, wenn es darum geht, die Reste der Dorfgemeinschaft zusammenzuhalten. Gar nicht genug loben können wir die alljährliche Lebensmittelsammlung für die Caritas, die schon 1946 wiederaufgenommen wird und ab 1981 als "Naturaliensammlung" dem Waisenhaus in Friedberg zugute kommt. Seit 1974 sammelt die Landjugend auch Altpapier. Auch das ist eine Leistung, die der Allgemeinheit dient. Nicht zu unterschätzen sind auch die unterschiedlichen Unterhaltungsangebote, die der Verein dem Dorf und seiner Umgebung macht. In diesem Zusammenhang können wir von ihm ohne Einschränkung als einem modernen Dienstleistungsunternehmen sprechen. Die Saison beginnt mit dem Lumpenball, ohne den sich viele den Fasching nicht mehr vorstellen können. Zu Ostern wird der "Jaudus" abgebrannt und etwas später ein Maibaum aufgestellt, letzteres erst neuerdings in Zusammenarbeit mit den anderen Vereinen. Mehrmals erfreut dabei die frühlingsgestimmten Zaungäste eine Volkstanzgruppe. Um Weihnachten ist es der Christbaum für alle, und zu Sylvester wird das Neue Jahr mit Blasmusik vom Kirchturm willkommen geheißen. Zweimal findet ein Weinfest statt. Beim zweiten Mal ist es sogar ein großer Erfolg. Regelmäßigere Veranstaltungen sind die Altennachmittage oder Seniorentreffs, wie man sie jetzt nennt. Sie wechseln vom Schloss zum neuen Schützenheim und zuletzt ins Pfarrzentrum. Regelrechte Epochen erlebt das Theaterspiel. Von 1948 bis 1959, von 1966 bis 1976 und zuletzt von 1982 bis 1985 fiebern die Akteure und das ganze Dorf der jeweiligen Erstaufführung entgegen. Hauptspieltag ist regelmäßig der Stephanstag mit einigen Wiederholungen, und zunächst wird auch noch an Fasnacht gespielt. Den vorläufigen Schlusspunkt der Theaterepochen setzt ein "Dorfstück um Krieg, Geld und andere Gemeinheiten" mit dem Titel "Der Dachschaden". Uraufführung ist am Sonntag, dem 22. Dezember 1985. Gesprochen und gesungen im altbayerischen Dialekt, lässt es den Geist von Nikolaus Widmann, dem Schriftführer von 1919 bis 1926 wieder lebendig werden. Er hat dem Autor aus dem Kriegsjahr 1916 erzählt, eine Geschichte vom störrischen Wannerbaur, der seine illegal gehorteten Goldfüchs am Ende dann doch dem Pfarrer zur Reparatur des Kirchendaches überlässt. Alle Vorstellungen sind ausverkauft. Dem Verfasser und Spielleiter verhilft das Stück zu einer der köstlichsten Episoden seines Lebens. Epochemachend ist auch das Gartenfest, das nun schon seit beinah 50 Jahren alljährlich ganz Stätzling auf die Beine bringt. Das erste im Jahr 1973 hat noch auf dem damaligen Sportplatz stattgefunden. Seitdem gastiert es im alten Bauerngarten von Willi Steinherr. Willis Garten hat sich allmählich einen Ruf erworben, vergleichbar nur mit der Theresienwiese in München. Ein dritter Bereich von Aktivitäten ist zwischen Clique und Dienstleistung angesiedelt. Er weist über das Heimatdorf hinaus und trägt den Namen Stätzling in alle Winde. Dazu gehören die vielen Fahnenweihen, die der Verein mit seiner Anwesenheit bereichert. Am bedeutendsten sind jedoch die Vereinsjubiläen gewesen, die jeweils mit zahlreichen Gästen aus nah und fern gefeiert worden sind. Das erste von 1930 war noch mit dem Georgs-Patrozinium verbunden. Zum 40jährigen Jubiläum waren dann schon 16 befreundete Vereine zugegen, zum 50jährigen 19, und zum 75jährigen Gründungsfest wurden nicht weniger als 55 Vereinsabordnungen von der Kapelle Hubel durch das Dorf gespielt. Kleiner geriet der Rahmen für das 80-jährige Gründungsfest. Dafür haben die Burschen die Weihe der restaurierten Fahne, im Mai 1996 und das 25. Gartenfest im August 1998, wieder zu einem überörtlichen Großereignis gestaltet. Für das eine ist Vorstand Michael Riegel verantwortlich gewesen, für das andere der Vorstand Markus Lichtenstern. Noch weitere Kreise mag der Name des Dorfes mit Hilfe der Gäste gezogen haben, die der Verein schon beherbergt hat. 1968 ist eine Gruppe der Christlichen Arbeiterjugend aus Berlin zu Gast gewesen. 1973 kam es zu einem deutsch-französischen Treffen in Stätzling, und ein Jahr später gab es Besuch aus Senegal. Auch die Leistungen einzelner Mitglieder außerhalb Stätzlings machten dem Verein Ehre. Ein Beispiel möge genügen. Als Andy Kienast, der Schriftführer von 1966 bis 1971, während des Friedberger Volksfestes zweimal den Schlagerwettbewerb moderierte, hörten ihm im August 1976 nicht weniger als 3500 junge Menschen zu. Es darf mit Fug gefragt werden, ob das in der Region schon einmal übertroffen wurde. Zusammenfassend dürfen wir konstatieren, dass es höchst bemerkenswert ist, was die Stätzlinger katholische Jugend in den letzten 90 Jahren geleistet hat. Gleichwohl vermittelt diese Übersicht nur einen äußeren Eindruck. Das Wesen darunter ist damit zwar umschrieben, aber noch nicht unmittelbar angesprochen. Angesichts einer sich immer schneller wandelnden Welt kann es jedoch nicht überraschen, dass der Kern des Vereins nicht derselbe geblieben ist. Vor dem Hintergrund der ewigen Konstante des christlichen Glaubens sind es vor allem zwei Prozesse gewesen, die tief in das Bewusstsein und das Selbstverständnis der kirchlichen Jugend eingedrungen sind. Den Glauben und die Liturgie betreffend war es das Zweite Vatikanische Konzil. Das Subjekt des Vereins verändert hat dagegen der gesellschaftliche Wandel, der ausgehend von der studentischen Jugend etwa zur gleichen Zeit seinen Einfluss geltend machte. Schon lange war das weibliche Element in die geschlossenen Reihen der Burschenschaft eingesickert. Mit Beginn des Jahres 1970 war es dann unvermeidlich, das auch nach außen zu dokumentieren. Aus dem Burschenverein wurde die Landjugend. Die Brüderlichkeit war nun eigentlich durch Geschwisterlichkeit zu ersetzen. In der Zeit des Präses Rainer Kuhn kam es sogar dazu, dass dem Vorsitzenden eine junge Frau zugeordnet wurde. An der Seite von Karl Mair gab Eva Maria Lenz ein unübersehbares Debüt in der Spitze des Vereins. Das ist bis heute noch nicht übertroffen. Zwar scheint die Entwicklung nicht ohne restaurative Tendenzen zu verlaufen. So wurde der Verein 1985 unter dem Vorstand Siegmund Satzger zum zweiten Mal umbenannt. Seitdem sind die Burschen wieder im Vereinsnamen präsent. Dass der Prozess unumkehrbar ist, dafür gibt es jedoch in der Vereinschronik einen höchst amüsanten Beleg. Die Schwester des Vorstandes von 1985, die Schriftführerin Alexandra Satzger, notiert am 22. Juli 1990 lapidar: "Hobbyfußballturnier des FC Stätzling: Die glorreichen Kämpfer des Burschenvereins errangen von drei beteiligten Mannschaften den herausragenden 3. Platz." Das entspricht dem Grundsatzprogramm von 1910. Über diese Jugend brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.

Max Zinterer

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